Kurzkrimi -Hochgekommen (Schluss)Harald Stangor, Gifhorn

crime

Helferständlich, wenn Sie drauf …» Etwa an dieser Stelle lockerte sich der Schneidezahn, da er die Waffe mehrfach heftig bewegte. Ich blutete an verteilten Stellen und würde eine Beule bekommen; auch der Teppich würde kaum zu retten sein. Ich fing an, den Eindringling zu hassen, sah aber aus einleuchtenden Gründen davon ab, das an dieser Stelle als Detail zu thematisieren. Ich konzentrierte mich auf das, was ich sehen, hören, riechen konnte. Was ich schmeckte und fühlte. Blut, brachte mich hier nicht weiter. Schmerzen lenken so leicht vom Wesentlichen ab. Nicht, dass sie sich nicht bedeutsam anfühlten, aber Schmerzen vergehen. So oder so.

Was ich sehen, hören, riechen konnte: Bügelfalte. Kein erkennbarer Regionalton. Glatt geschabt, unter akzeptablem Rasierwasser. Das alles trug er, nicht ich; ich arbeitete hier und sah entsprechend aus, selbst wenn ich gerade nicht verprügelt wurde. Er schlug mich in Eleganz, und ob ich, was ich mir einbildete, tatsächlich der eloquentere Redner war, blieb schwer zu sagen; es war keine alltägliche Situation, nicht für mich, jedenfalls. Ende der Überlegung: Entweder war das ein Profikiller, falls es solche wirklich gab; in meiner Vorstellung hätte er dafür aber einen Akzent haben müssen. Oder es handelte sich um einen gutsituierten Herrn, der normalerweise ganz anderen Beschäftigungen nachging und nur durch Not oder individuelle Besorgnis zu derlei Aktivitäten getrieben wurde.

Ich lag gerade auf dem Boden und krümmte mich, des Tritts wegen, und besah mir seine Schuhe, Letzteres aus beruflichem Interesse. Nicht gerade die Treter, die man in Fabriken und auf Feldern trug. Die Hand ohne Waffe hatte auch keine Schwielen.

Er war offenbar meinem Blick gefolgt.

«Das ist hier nicht das heitere Beruferaten. Das ist dein letztes Stündchen.»

«Wenn ich dazu etwas einwerfen dürfte …», ich werde vor Mündungen immer recht devot, wie sich schon bei dieser ersten Begegnung herausstellte, «ich bin nicht davon überzeugt, dass unbedingt einer von uns sterben muss …»

«Du», klärte er diese Sache mit einer beiläufigen Bewegung.

«Wer auch immer. Ich möchte auch nicht unbedingt, dass Sie blutend auf meinem Teppich liegen. Ich hänge an meiner Einrichtung, und …»

«Und an deinem Leben?»

«Dahan hauch, hummedink, dahan hauch …!» Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Lauf in meinem Mund, was meine Sprache etwas einschränkte, aber der Gedanke, schätze ich, kam hinüber: Ich mochte mein Leben, sonst. Generell. Heute war irgendwie kein guter Tag.

«Dann halt endlich das Maul.»

Hafen Fie fon einmal einen Menfen ummebracht?»

Er war sichtlich sprachlos, als er den Mund aufmachte. «Das ist genau dein Problem. – Du kannst nicht schweigen.» An dieser Stelle fasste er offenbar einen didaktisch gemeinten Entschluss. «Ich brings dir bei.» Nach einer zögerlichen Sekunde trat er die übliche Kombination aus Unterleib, zum Krümmen, dem Knie im Gesicht und, unter Einsatz der freien Hand, der willfährigen Frisur, die den Delinquenten, in diesem Falle mich, gegen die Wand treibt. Zu diesem Zeitpunkt gab es, glaube ich, keine Faser mehr, aus der ich nicht blutete.

«Reden, schweigen, wenn es darauf ankommt. Schreiben, dass es lohnt. Du hast das nie gelernt. Du machst immer die falschen Worte. – Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder solche Lügen schreibst.» Ein vernünftiger Satz, zumal der Letzte: hoffnungstauglich, da von Schreiben und nicht Atmen die Rede ist. Weitere Tritte, hämmernde Hände, aber die Waffe nur als Schlaginstrument eingesetzt, das Rohr ungenutzt. Ich fühlte mich mit jedem Schlag, jedem Tritt besser, auf eine abstrakte Weise. Konkret tat es ziemlich weh. Ich hing, verdammtnocheins, an meinem Leben. Irgendwo im Nebenraum arbeitete mein Hirn.

Lügen? «Waffen lügen?»

Ein harter Tritt in eine frühere Lieblingsstelle von mir. «Halt’s Maul.»

Ich konnte kaum mehr sprechen, aber inhaltlich blieb ich durchaus interessiert. Worüber hatte ich in der letzten Zeit gelogen? Es konnte kaum mein Werk betreffen, das sich aus meiner weitschweifigen Fantasie speiste und nicht wirklich in dem Geruch stand, Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Menschlich aber hatte ich mich in jüngerer Geschichte kaum an jemandem vergangen.

Nun gut, ich hatte nicht die geringste Idee. Ich musste dieses Monster demaskieren, buchstäblich, in der Hoffnung, dass mir sein Gesicht etwas sagen würde, was mir die Stimme und Schläge nicht mitgeteilt hatten. Als er mit der Waffe zu dem Schlag ausholte, der mein linkes Ohr töten sollte, hielt ich mich an seinen fest, will sagen: an der Maske, die ihn vor meinen letzten Blicken verbarg. Er schlug mich von sich, deckte dabei sein Gesicht auf und wurde mein verkehrtes Spiegelbild, der Zwilling, den ich nie gehabt hatte. Einen Augenblick lang starrte ein jeder von uns in mein Gesicht. Dann begriff ich: ein fanatischer Anhänger, mein grösster Fan, der mich auslöschen und an meiner Stelle stehen würde, wenn die Zukunft begann.

Fie haben mein Geficht …»

«Billig. Das war billig.» Meinte er die Enthüllung, ein hilfloser Akt, oder deutete er eine schmale Reihe von Operationen an, die ihn in mich verwandelt hätten? Vielleicht sah er ja schon immer so aus und hatte sich nur nie gezeigt, auf meinen Wegen. Hatte ich immer einen Doppelgänger gehabt, oder hatten Skalpelle ihn zu mir zugerichtet? Ich erlaubte mir nicht, weiter zu denken, wie üblich. Kein grosses Ganzes. Die Details, Edgar, die De-tails … Er musste mir auf dem Weg nach oben gefolgt sein und sich, in Erwartung des richtigen Moments, verborgen haben … Die Details …

Awer … warum mein Geficht..?»

«Es ist gut …»

«Danke …» Wahrscheinlich war ich, irgendwo weiter hinten, geschmeichelt. Vorne starrte ich weiter in den Spiegel. Wir waren Verwandte, auf irgendeine Art. Wer von uns blutete wirklich?

Doch, ich war es: Er trat mich aus dem Arbeitszimmer, stiess mich, mit einem angewiderten Fuss und durchaus eleganten Schuhen, die Treppe hinunter, auf der die letzten Sputa von mir brachen. Ich hörte seine Stimme, die meiner zu ähnlich schien, akzentfrei, nur reicher angefüllt mit Hass und mörderischem Ernst und lässiger zugleich, da er noch Pläne hatte, die mir verloren waren.

Es erfüllt den Zweck. Man kann so viel Gutes tun… mit deinem Gesicht. Anders als du.»

Und während ich meine letzten Atemzüge tat, allmählich, las er mir aus meinen Manuskripten vor, die ich noch nicht kannte; die von realen Politikern handelten, die auf denkwürdige Weise starben, und vom allmählichen Fortschritt des aufbegehrenden kleinen Mannes. Der Mann mit meinem Gesicht veränderte die Welt mit Blut, wie ich, unpolitisch, mein Leben erbaut hatte.

Und er stand, über mich gebeugt, und liess nicht mehr unterdrücken, während ich, meiner selbst überdrüssig, müde einschlief, als wäre es der Traum einer ganz und gar misslungenen Nacht. Zwei von meinen vier Augen, so sicher war ich, wird die Welt ertragen. Ich hoffte nur, dass wir das richtig sahen.

SERIE KURZKRIMI (1)

An den Burgdorfer Krimitagen 2004 fand ein Wettbewerb für Kurzkrimis statt, bei welchem Autoren aus dem ganzen deutschsprachigen Raum teilnahmen. Wir bringen an dieser Stelle sechs der prämierten Arbeiten.

Die erste hier publizierte Arbeit «Hochgekommen» von Harald Stangor erhielt eine Auszeichnung.

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